Messschieber

Posted on Mo 24 Mai 2021 in DIY & Workshop

Manchmal will ich kleines Zeug vermessen – Schrauben, Dichtungen, Löcher in irgendwas, die Fortpflanzungsorgane von SUV-Fahrern, Blech, Draht, etc. Solange sich die Dimensionen im Zentimeterbereich abspielen ist ein Lineal das Mittel der Wahl, aber darunter geht es oft nicht mehr um plus/minus ein Millimeter, sondern eher Zehntelmillimeter. Und da wird anderes Werkzeug nötig. Typischerweise eine Schieblehre, auch Messschieber genannt. Damit kann man Innen- und Außenmaße kleiner Objekte leicht vermessen.

Heutzutage sind vor allem digitale Messschieber beliebt – sie sind leicht abzulesen und schon für 10 bis 20€ zu haben. Natürlich sind das dann keine Markengeräte mit Prüfzertifikat, aber sie funktionieren ziemlich gut und sind super simpel in der Bedienung. Auch ich habe zwei davon herumliegen und mag sie im Grunde ganz gern.

Wie man sieht, stammt dieser vom renomierten Messgerätebauer Tchibo. Aber er misst, soweit ich das beurteilen kann, ganz vernünftig und reproduzierbar.

Heute haben viele Modelle eine Datenschnittstelle zum Auslesen von Messwerten und das kann vermutlich praktisch sein. Meine digitalen Schieber sind schon ziemlich alt und haben das nicht. Wobei – wenn man das Batteriefach öffnet, und genau hinschaut, dann kann man vier Kontakte durchscheinen sehen, wo bei neueren Modellen die Schnittstelle lokalisiert ist. Vermutlich haben die "besseren" Modelle einfach eine entfernbare Abdeckung und meins nicht, aber ich hab's auch noch nie vermisst.

Blackout

Was aber mächtig nervt, ist die Tatsache, dass die Teile immer dann, wenn der Gelegenheitsnutzer, wie ich es nunmal bin, etwas damit messen möchte, die blöde Batterie leer ist. Zuerst dachte ich, es liegt daran, dass der Messschieber in der Plastikschachtel versehentlich eingeschaltet wird, weil der Schaumstoff im Deckel auf den on/off Knopf drückt. Also habe ich den Schaumstoff mit einem Skalpell etwas ausgeschnitten und dachte nun wäre alles gut:

Falsch gedacht. Beim nächsten mal das gleiche Spiel: Messschieber geht nicht, LR44 Batterie suchen, keine finden, losfahren, eine kaufen, einsetzen, geht wieder, messen – das nervt!

Aber woran liegt das? Nun – das Ding hat keinen richtigen ein/aus Schalter, sondern einen kleinen Drucktaster. Das bedeutet, dass es niemals völlig stromlos ist, sondern zumindest im Standby-Modus abwartet, ob besagter Taster gedrückt wird, um dann in den "An" Modus zu wechseln. D.h. das Gerät zieht auch dann Strom, wenn es eigentlich aus ist. Nun kann sowas sehr lange gut gehen, wenn der eingesetzte Microcontroller einen super-duper Stromsparmodus hat und die Firmware diesen auch nutzt. Nun weiß ich nicht, welcher µController in meiner Schieblehre steckt und wie sparsam man den schalten kann, aber das Resultat ist unbefriedigend. Online findet man Leute, die sich das genauer angesehen haben und behaupten, dass diese billigen Messschieber eigentlich nur das Display abschalten und ansonsten normal weiterlaufen und es so kein Wunder ist, dass sie Batterien fressen.

Abhilfe?

Was also tun? So prinzipiell sehe ich mehrere Möglichkeiten, das Problem anzugehen:

  1. Batterien nach Benutzung entnehmen
  2. Stromkreis unterbrechen
  3. Größere Batterien verwenden

Lösung 1 ist mir zu lästig. Ja ich weiß – es ist nur ein Handgriff, aber ich weiß genau, dass ich das nicht zuverlässig tun werde.

Ansatz 2 klingt attraktiv. Im Netz finden sich diverse Bastelprojekte in denen ein kleiner Schiebeschalter o.Ä. installiert wurde. Leider ist im Gehäuse der Messschieber echt kein Platz mehr für sowas und die entsprechenden Lösungen bestehen dann darin, den Schalter irgendwie extern anzubringen – meist mit einem Blob Heißkleber oder sowas am Gehäuse befestigt. Das funktioniert und sieht erwartungsgemäß super scheiße aus. Und so richtig haltbar wirkt das auch nicht...

Bleibt Lösung 3: auch das findet sich vielfach im Netz und wird als tolle Lösung beworben, wenn jemand einen Batteriehalter für zwei AAA Batterien an seinen Messchieber angepappt und verkabelt hat. Muss ich darauf hinweisen, dass das Resultat die Eleganz und Handlichkeit eines Wandschranks hat? Also auch keine Option.

Einen kleinen Lichtblick gibt es aber: größere Batterien müssen nicht unbedingt größer sein. Nämlich dann, wenn es Alternativen mit höherer Kapazität bei gleicher Bauform gibt. Das Zauberwort heißt "Silberoxidzelle" – also SR44 statt LR44! Die haben mehr Strom drin und halten länger. Die Spannung ist nicht exakt gleich, aber ich denke, der Unterschied zwischen 1.5V (LR44) und 1.55V (SR44) sollte nicht ins Gewicht fallen. Und so habe ich gerade die leere LR44 Batterie durch so eine SR44 ersetzt. Mal sehen, wieviel das in der Praxis bringt.

Analogisierung

Aber wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich schon, wie das ausgeht: Ich ärgere mich etwas seltener, aber eben doch regelmäßig. Nun wäre eine Möglichkeit, die Billigdinger zu verschenken und mir ein Gerät eines namhaften Markenherstellers zuzulegen. Z.B. einen Mitutoyo 500-181-30. Leider hat der aber einen Listenpreis von 112,00€ und kostet selbst als Sonderaktion noch 83€. Nee – ganz ehrlich: das ist bestimmt die richtige Wahl, wenn wenn Du das beruflich machst und jeden Tag in die Hand nimmst, aber mir ist das deutlich zu teuer!

Also zum letzten Weg aus der Misere: Analogisierung! Digitale Anzeigen sind ja nett, aber ich wäre eigentlich auch völlig zufrieden, wenn ich das ganz altmodisch auf einer Skala ablesen muss. Und als Mitglied der Generation, die noch ohne Handy aufgewachsen ist weiß ich, dass der Messschieber kein Produkt der modernen Digitaltechnik ist, sondern ganz analoge und batteriefreie Messschieber schon ewig existieren.

Und so habe ich dann doch einen Mitutoyo bestellt – einen analogen mit Nonius-Skala. Der war für gut 30€ zu haben und wenn es nicht der Japaner sein muss bekommt man sowas auch schon für 10-20 Taler. Hier meine beiden Schätzchen – oben ein uralter Messchieber unbekannter Provenience und darunter der Neue vom Japaner:

WTF ist eine Nonius-Skala?

Schön, dass ihr fragt, denn die Nonius-Skala gehört zu den Dingen, die mich schon immer fasziniert haben, weil sie einfach eine geniale Erfindung ist! Überhaupt bin ich ein großer Fan von alter Messtechnik, denn es ist unglaublich, was man in puncto Präzision erreichen kann, ganz ohne Elektronik, Laser oder Computer.

Und das funktioniert so: zunächst mal braucht man eine Technik, um eine vorgegebene Strecke in viele gleich große Segmente zu unterteilen. Und das kann die Menschheit schon ziemlich lang und wer es nicht komplett verdrängt hat, wird sich vielleicht erinnern, mal im Geometrie-Unterricht gelernt zu haben, wie man mit einem Zirkel eine Strecke halbiert. Und schlaue Leute haben Wege erdacht, auch andere Teilungen zu konstruieren. Und so konnten schon früh ziemlich genaue Lineale hergestellt werden mit denen man millimetergenau messen kann.

Nun könnte man auf die Idee kommen einfach ein Lineal zu bauen, das eben auch für Zehntelmillimeter entsprechende Striche hat. Aber das würde nicht wirklich funktionieren, denn beim Ablesen würde unser Auge einfach nicht mehr mitmachen. Viel zu viele Striche auf engem Raum, alles sehr unübersichtlich und schwer mitzuzählen... Unsere optische Auflösung für sowas liegt so bei 0.5mm.

Ein gewisser Pedro Nunes (latinisiert Petrus Nonius) kam im 16. Jahrhundert auf eine bahnbrechende Idee, die dann 1631 von Pierre Vernier aufgegriffen und vereinfacht wurde. Und so heißt es bei uns "Nonius-Skala" und im Englischen "Vernier scale". Aber was ist nun diese Idee?

Während wir, wie oben erwähnt, Probleme haben, superfeine Skalen abzulesen, sind wir recht gut darin, die Übereinstimmung von Linien zu prüfen/vergleichen. Wenn wir also die abzulesende Skala irgendwie entzerren könnten und dann prüfen, welche Striche am besten zueinander ausgerichtet sind, dann wäre das viel genauer. Und genau das tut eine Nonius-Skala.

Aber zuerst schauen wir mal, wie man einen simplen Messchieber abliest: Selbiger hat einen Teil, der eine Millimeterskala trägt und einen gegenüber der Skala verschieblichen Teil mit einer Linie zum Ablesen.

Und nun kommt der Trick: Wenn wir nun statt eines einzelnen Ablesestrichs eine Nonius-Skala anbringen, dann können wir genauer ablesen. Dazu nehmen wir z.B. eine Strecke von 9mm und unterteilen diese in 10 Teile a 0.9mm:

Ist der Messchieber geschlossen, steht also der "nullte" Strich der Nonius-Skala auf 0.0mm der zehnte auf 9.0mm und übrigen 9 Striche sind mit keinem der Striche auf der Linealskala so richtig ausgerichtet. Da wir die 9mm in 10 gleiche Abschnitte geteilt haben, befindet sich der erste Stich nun an Position 0.9mm – d.h. es fehlen 0.1mm zur Übereinstimmung. Beim nächsten Strich sind es analog 1.8mm und es fehlen 0.2mm und so weiter. Das bedeutet aber auch, dass eine Verschiebung um 0.1mm dazu führt, dass der erste Nonius-Strich perfekt auf die 1mm Linie ausgerichtet ist:

Und wenn wir einen weiteren Zehntel-Millimeter weiter gehen, ist plötzlich der zweite Nonius-Strich auf die 2mm Linie ausgerichtet ist:

0.3mm:

und 1.0mm:

Aber natürlich ist das nicht auf den ersten Millimeter beschränkt – hier 12.3mm:

Und damit es leichter ist, verwendet man normalerweise nicht 9mm, wie in meiner Erklärung, sondern z.B. 19mm, oder 49mm – das kann man dann sehr gut mit bloßem Auge ablesen – sogar am Bildschirm kann man es gut erkennen und in der echten Welt ist es nochmal einfacher. In der Praxis geht noch mehr und so hat mein neuer Messchieber eine Auflösung von 0.02mm plus meine Ableseungenauigkeit, die in etwa in der gleichen Größenordnung liegt. In Summe kann das geübte Auge also mit so einem Instrument auf ca. 0.04mm genau messen und der billige, den ich in der Werkstatt liegen habe, kommt immerhin auch auf 0.1mm Auflösung.

Ist das nicht toll!?!

Und vor allem: nie wieder über leere Batterien ärgern!