Steuerkarte einer professionellen Schneidemaschine reparieren
Posted on Wed 10 July 2024 in Computer & Electronics
Heute habe ich was besonderes: Ich habe hier eine defekte Platine aus einer örtlichen Druckerei. Sie trägt die schöne Bezeichnung "Polar 020321 KUP" und gehört zu einer Schneidemaschine. Selbige hat seit kurzem eine Fehlfunktion – ganz habe ich es nicht verstanden, aber ich glaube irgendwas rauscht in einen Endschalter oder ignoriert ein Limit oder sowas. Ein Service-Techniker hatte sich das angeschaut und diagnostiziert, dass besagte Steuerkarte defekt sei. Der Austausch sollte allerdings exorbitant teuer sein und so ist die Platine bei mir gelandet mit der Frage, ob ich da evtl. was machen kann.
Challenge accepted!
Erstinspektion
So sieht das gute Stück aus:
Das ist mal eine wirklich übersichtliche Platine: ein paar Dioden und Widerstände, zwei Kondensatoren, zwei Relais und ein Transistor oder MOSFET oder sowas. Alles Old-School mit klassischen Through-Hole Bauteilen. Also vermutlich älterer Bauart.
Das sollte man doch reparieren können, auch ohne detailierte Infos zur Funktion. Erstmal genau ansehen. Sieht eigentlich alles bestens aus – keine verdächtigen Lötstellen oder offensichtlich beschädigte Bauteile.
Durchmessen
Gehen wir also systematisch vor und prüfen mal alle Bauteile in circuit.
Widerstände
Vier Widerstände finden sich in der Schaltung. Deren Werte messen wir nun und vergleichen sie mit den aufgedruckten Nennwerten:
Nr. | Nennwert | Messwert |
---|---|---|
R1 | 390 Ω ±1% | 387 Ω |
R2 | 100 Ω ±1% | 99.5 Ω |
R3 | ? | 248.6 Ω |
R4 | ? | 244.6 Ω |
Die beiden ersten sind tiptop, R3 und R4 sind dickere Widerstände aus deren Beschriftung ich nicht schlau werde, auch weil sie teils auf der Unterseite liegt. Sie sehen aus, als wären sie für größere Ströme gedacht. Da sie nahezu identische Werte haben denke ich aber, dass sie ok sind.
Beide sind vor die Spule je eines Relais geschaltet und so denke ich, dass sie dazu dienen, den Strom durch die Spule zu begrenzen.
Kondensatoren
Es gibt zwei dicke 2.2µF Kondensatoren – der Optik nach dürften es Folienkondensatoren sein. Die sind parallel geschaltet und die Messung ergibt 4.4µF. Perfekt.
Dioden
Multimeter in den Diodentest-Modus schalten und alle prüfen:
Nr. | Typ | Spannungsabfall |
---|---|---|
V1 | 4007 | 0.394V |
V2 | 5383 | 0.54V |
V3 | P600G | 0.516V |
V2 ist vermutlich eine 150V Zener-Diode. Die sieht also ok aus, auch wenn wir die Funktion nicht 100% garantieren können.
V3 ist eine dicke fette 400V 6A Gleichrichterdiode und der Spannungsabfall scheint in Ordnung zu sein.
In Sperrrichtung messen wir bei beiden, wie zu erwarten nichts (OL
).
Aber V1 wirkt nicht normal: eine 4007 Gleichrichterdiode sollte eigentlich so bei
0.65-0.7V liegen; allermindestens 0.5V würde ich erwarten. Und in Sperrrichtung
sollte das Multimeter OL
zeigen. Aber in beiden Richtungen messe ich den
selben Wert. Ist die defekt? Genauere Betrachtung zeigt, dass die aber parallel
zu R1 geschaltet ist. Das verfälscht die Messung. Also ein Beinchen auslöten
und nochmal messen. OK – jetzt passt es. Also falscher Alarm.
Relais
Kommen wir also zu den spannenden Komponenten: Die Relais sind meine Hauptverdächtigen, denn nach jahrelanger Nutzung kann so ein mechanisches Bauteil schonmal den Geist aufgeben. Relais neigen dazu nach Jahren mal zu "kleben" – also nicht mehr auf allen Kontakten korrekt zu schalten.
Die beiden Relais sind von Elesta und haben die Typenbezeichnung PR 4F. Mal ins Datenblatt schauen:
- 24V Schaltspannung
- Vier geschaltete Kontakte: 2 Öffner und 2 Schließer
- Nomineller Spulenstrom: 54,5 mA
- Spulenwiderstand: 440Ω,
Zum Testen stellen wir das Labornetzteil auf 24V, setzen die Strombegrenzung auf 55mA und klemmen uns auf ein Beinchen von R3 über den der Strom dann in die Spule fließt und mit der anderen Klemme auf die andere Seite der Spule.
Kanal aktivieren und schauen was passiert: wenig. Es fließt Strom, und das Relais zuckt ein bisschen, aber es schaltet nicht komplett. Beide verhalten sich gleich. Beide defekt? Nun habe ich leider keine Ahnung welche Spannung da normalerweise anliegt und auch der Sollwert der Widerstände ist nicht klar, also kann es gut sein, dass ich mehr anlegen müsste. Also erstmal anders: Wir klemmen das Labornettzteil direkt auf die beiden Spulenkontakte. Dabei ist die Strombegrenzung sehr wichtig, denn wir wollen die Spulen ja nicht durchbrennen. Also: Kanal wieder an und voila – das Relais schaltet mit einem satten "Klick" und man kann sehen, dass alle vier Kontakte arbeiten. Das zweite Relais liefert das selbe Ergebnis. Also dürften die OK sein.
Transistor
Bleibt also noch der Transistor oder MOSFET. Er ist mit ST9635 BU426A beschriftet. Eine kurze Recherche liefert das Datenblatt. Also haben wir hier einen 400V, 6A NPN Transistor vor uns.
Um den zu testen erinnern wir uns kurz, was wir eigentlich erwarten: Aus der Perspektive des Multimeters gleicht ein Transistor zwei gegeneinander geschalteten Dioden (Bildquelle: Biezl, Public domain, via Wikimedia Commons):
D.h. wenn wir im Diodentest-Modus mit der roten (positiven) Testspitze auf die Basis und mit der schwarzen auf den Kollektor gehen, sollten wir den typischen Spanungsabfall eines Silizium PN-Übergangs von etwa 0.6-0.7V sehen. Auf diese Weise messen wir alle möglichen Kombinationen in beiden Richtungen durch und erwarten dies:
↱ | B | C | E |
---|---|---|---|
B | — | 0.65V | 0.65V |
C | OL | — | OL |
E | OL | OL | — |
Bei einem PNP-Transistor analog, nur dass die Polung umgekehrt ist. Bleibt noch die Frage, welcher Pin wo zu finden ist und das Datenblatt weiß Rat:
Und was messen wir bei unserem Transistor? Das:
↱ | B | C | E |
---|---|---|---|
B | — | 0.55V | 0.06V |
C | OL | — | OL |
E | 0.06V | 0.57V | — |
Treffer – da ist was faul! Die 0.55V sind im Rahmen, aber 0.06V sind definitiv
nicht in Ordnung und schon garnicht in beiden Richtungen. Und die E-C Strecke
sollte OL
sein. Um sicher zu gehen löten wir den Transistor aus und messen
nochmal außerhalb der Schaltung – gleiches Ergebnis. Ich denke wir haben
unseren Schuldigen.
Also bestellen wir einen neuen. Das Bauteil kostet fast nix und sicherheitshalber nehme ich gleich drei, falls doch noch was anderes im Argen liegt und er gleich wieder durchbrennt und auch von diesen fetten Dioden hab ich noch drei genommen – man weiß ja nie und wie so oft ist der Versand das teuerste und so ist es besser ein bisschen Redundanz zu schaffen, bevor man am Ende nochmal 6€ Porto für ein 1€ Bauteil bezahlt...
Reparatur
Ein paar Tage später war er da. Paranoid wie ich nunmal bin habe ich auch den neuen ausgemessen und erwartungsgemäß ist alles wie es sein soll. Nun die Lötstelle schön sauber machen: Mit Entlötlitze das restliche Lötzinn entfernen und dann alles mit Isopropanol putzen. Neuen Transistor einsetzen und verlöten – Kühlkörper nicht vergessen. Fertig.
Unmittelbar ausprobieren kann ich das Ganze nicht, weil ich ja die Schneidemaschine nicht habe. Also Karte zurückgeben und auf Rückmeldung warten.
Und siehe da: ich erfahre, die Maschine geht wieder! Sehr cool! Das hat Spaß gemacht und auch noch jemandem geholfen.