Lötkolbenwettstreit

Posted on Do 12 Dezember 2024 in Electronics & Computer

Zum Elektronikbasteln muss man oft löten. Und so habe ich schon seit Jahrzehnten einen Lötkolben. Mein erster war ein Ersa Tip 16. Der hatte wenig Leistung und keine Temperaturregelung, hat mir aber lange Zeit gute Dienste geleistet wenn es darum ging kleine Bauteile ein- oder auszulöten. Er funktioniert bis heute und ich habe ihn erst kürzlich verschenkt.

Lange Zeit habe ich nicht verstanden wieso man viel Geld für eine Lötstation ausgeben sollte. Bis ich dann eine hatte: eine Weller WS 81. Ich weiß nicht mehr wann ich sie gekauft habe oder was sie gekostet hat, aber ich schätze dass sie bestimmt 20 Jahre alt ist. Die gibt es immer noch und man muss inzwischen deutlich über 300€ dafür hinblättern. Soviel habe ich mit Sicherheit nicht bezahlt... Auf alle Fälle hat sie mir die Augen geöffnet, wozu man eine geregelte Station mit 80W braucht: während mein Tip 16 konstant mit 16W heizte und dann eben erstmal ordentlich eingebrochen ist, sobald man die Lötstelle berührte, heizt die Station mit Volldampf nach, sobald die Spitzentemperatur unter den Sollwert sinkt. Das macht viel mehr Spaß und auch dicke fette Stecker auf einer großen Kupferebene sind plötzlich kein Problem mehr und auf der anderen Seite gehen auch die fitzelich kleinsten SMD Krümel ohne Kollateralschäden.

Später habe ich mir noch einen TS100 Lötkolben angeschafft, weil der sich aufgrund seiner Größe gut für unterwegs eignet. Allerdings wird der selten benutzt.

Und kürzlich wünschte ich mir des öfteren, ich hätte eine zweite Lötstation, um sehr hartnäckige, eher größere Bauteile von zwei Seiten beheizen zu können, damit das Auslöten besser geht. Über 300€ für eine zweite Weller kamen nicht in Frage und so habe ich mich mal umgesehen, was es sonst noch so gibt. Und so bin ich natürlich auf die üblichen Verdächtigen gestoßen:

  • Ersa
  • Weller
  • JBC
  • Metcal
  • Hakko

Alle sehr gut, aber teuer. Zu teuer für ein Zweitgerät, außer man nimmt eine der neueren mit viel weniger Leistung. Und so bin ich nach einiger Recherche auf diverse chinesische Angebote gestoßen, die preislich attraktiver waren. Viele wirkten wenig vertrauenerweckend, aber einige sahen sehr ordentlich aus und konnten auch gute Reviews im Netz vorweisen. Eine stach für mich aus der Masse heraus: Aifen A9 Plus. Die ist stilistisch einer JBC Station nachempfunden und verwendet die selben Spitzen. Und sie war für etwas über 100€ zu bekommen. Und das etwas ältere Modell A9E kann man teils für 60€ ergattern. Also habe ich eine bestellt. Sie kam erstaunlich schnell an, obwohl sie den halben Globus umrunden musste. Allerdings bedeutet das auch, dass im Falle eines Defekts eine Rücksendung praktisch unmöglich ist (Versandkosten!).

Mein erster Eindruck ist sehr gut: Alles fühlt sich vernünftig verarbeitet an, die Spitze ist ruckzuck auf Temperatur und erste Lötversuche verliefen sehr angenehm. Aber das wollen wir heute mal objektivieren. Und wo wir schon dabei sind mache ich einen Vergleich meiner drei Lötgeräte daraus. Hier nochmal die Wettbewerber:

Weller WS 81

Miniware TS100

Aifen A9 plus

Leistung

Als erstes schauen wir uns mal an, welche Leistung die drei haben. Dazu sehen wir zunächst ins Datenblatt und messen dann auch selber nach – mit einem normalen Energiemessgerät in der initialen Aufheizphase, wenn eigentlich alles auf Vollgas laufen sollte.

Modell Nennleistung max. Leistung, gemessen
Weller WS 81 80 82
Miniware TS100 65 73
Aifen A9 Plus 120 105

D.h. die Aifen Station hat nominell fast doppelt so viel Leistung wie der TS100. Bei letzterem ist darauf zu achten, dass die 65 W nur bei einem 24V Netzteil zur Verfügung stehen und sich die Leistung proportional zur Spannung reduziert wenn man z.B. eines der gängigen 19V Laptop-Netzteile verwendet. Meine Messwerte sind mit ziemlicher Vorsicht zu genießen, denn mein Energiemessgerät ist nicht das schnellste. Also bitte nur als grobe Orientierung betrachten.

Haptik

Der Lötkolben der Weller Station (WSP 80) ist schlank und liegt sehr angenehm in der Hand. Das Kabel ist lang genug (150cm) und flexibel. Zum Wechseln der Lötspitzen (LT-Serie) muss man die Hülse des Lötkolbens abschrauben, was problemlos funktioniert, aber etwas umständlicher als bei der Aifen. Dank eines Plastikrings geht das aber auch wenn er heiß ist.

Der TS100 ist etwas klobiger und auch nicht rund, sondern eher oval. In der Praxis liegt er aber viel besser in der Hand als ich ursprünglich vermutet hatte. Für industrielles Löten im Akkord ist das nix, aber für Reparaturarbeiten oder Hobby voll ok. Die Kabellänge und Qualität hängt vom verwendeten Netzteil ab (leider nur 115cm bei meinem). Der Spitzenwechsel ist eine Qual, denn die Spitze wird nicht einfach nur eingesteckt, sondern mit einer winzigen Imbusschraube gesichert und der dazugehörige Imbusschlüssel ist natürlich immer unauffindbar. Beim Nachfolgemodell TS101 ist stattdessen eine Schlitzschraube verbaut. Das Netzteil das ich dazu habe funktioniert gut, stört aber beim Aufheizen merklich den Radioempfang in der Männerhöhle.

Das T245 Handstück der Aifen Station liegt, genau wie das der Weller, super in der Hand. Wie auch beim Vorbild von JCB ist am vorderen Ende des Handstücks eine giftgrüne Schaumstoffhülse drübergestülpt, die wohl mehr Grip geben soll. Ich finde sie gewöhnungsbedürftig, aber vielleicht lerne ich das im Laufe der Zeit noch lieben. Auch hier hat man genug Kabellänge (135cm) und ordentliche Flexibilität. Der Spitzenwechsel ist der angenehmste der drei Konkurrenten: einfach stecken bzw. rausziehen. Zudem hat die Station ein Blech mit dessen Hilfe man die Spitzen auch im heißen Zustand gut wechseln kann.

Anheizzeit

Wir starten komplett kalt, also bei Raumtemperatur, Schalten die Station ein und messen, wie lange es dauert, bis die Station bei der Zieltemperatur angekommen ist. Dabei verwende ich 350°C, außer bei dem TS100, denn der steht beim Einschalten immer erstmal auf 300°C. Bis 350°C braucht er dann noch ein paar Sekunden.

WS81: 13s
TS100: 9s (300°C)
A9Plus: 2-4s

Die Werte beruhen, wie gesagt, auf den Messwerten des internen Sensors des jeweiligen Lötkolbens. Wie genau die sind sehen wir später. Außerdem hinkt die extern gemessene Temperatur an der Spitze ein paar Sekunden hinterher. Das einigermaßen genau zu quantifizieren ist mir nicht wirklich gelungen, aber vermutlich auch nicht kriegsentscheidend.

Kalibrierung

Als nächstes will ich wissen, ob die eingestellte bzw. angezeigte Temperatur auch einigermaßen stimmt. Das sollte man nicht überbewerten, denn auf ein paar Grad rauf oder runter kommt es normalerweise eh nicht an. Zur Messung verwende ich ein original gefälschtes FG-100 Lötspitzenthermometer von Aliexpress.

Hier die Ergebnisse:

Station Solltemperatur [°C] Messwerte im Gleichgewicht [°C]
WS81 200 194-198
300 286-295
350 348-352
400 386-391
TS100 200 203-208
300 291-295
350 343-344
400 390-394
A9 Plus 200 213-214
300 317-318
350 357-359
400 411-413

Alle drei Lötstationen lassen sich auch nachkalibrieren. So kann man beim TS100 und bei der Aifen Station eine Temperaturkorrektur über die Software einstellen und bei der Weller Station kann man mit einem Schraubenzieher einen kleinen Poti an der Front unter dem Einstellkopf verstellen (vorher Abdeckkappe entfernen).

Overshoot

Eine andere interessante Frage ist die Qualität der Temperaturregelung. Vor allem ob und wieviel die Spitzentemperatur über das eigentliche Ziel hinausschießt und so unter Umständen ein sehr empfindliches Bauteil beschädigen könnte.

Um das zu untersuchen, starten wir den Lötkolben kalt (<100 °C) und beobachten die Temperaturanzeige des Thermometers. Bei einer Zieltemperatur von 350°C habe ich die folgenden Maximaltemperaturen beobachtet:

Station T [°C]
WS81 382
TS100 364
A9Plus 382

D.h. alle drei haben einen gewissen Overshoot. Die mit mehr Leistung schießen stärker über das Ziel hinaus.

Wärme-output

Als nächstes wollen wir die Kandidaten mal Stress-testen indem wir versuchen, eine schöne große Lötzinnpfütze auf einem 5 Cent Stück zu schmelzen. Das ist schwer zu quantifizieren und so gebe ich hier meinen 100% subjektiven Eindruck wieder.

Vorab: Alle drei Wettbewerber schaffen die Aufgabe. Der TS100 tut sich erwartungsgemäß am schwersten, aber letztlich ist das Lot flüssig und lässt sich auf der Kupfermünze verteilen. Die beiden richtigen Stationen schaffen die Aufgabe geradezu erstaunlich schnell. Ja – ein paar Sekunden Geduld braucht man schon, aber wir reden hier auch von dem fettesten Kühlkörper auf dem ich je herumgelötet habe.

Erdung

Manchmal wäre es wünschenswert, mit einem geerdeten Lötkolben zu arbeiten, um Schäden durch elektrostatische Entladungen zu verhindern. Also prüfen wir mal den Widerstand zwischen Lötspitze und Schutzerdung. Die Spitze der Weller Station ist geerdet – das kann man ändern und das Handbuch gibt konkrete Instruktionen, wie ein 3.5mm Klinkenstecker zu beschalten ist um verschiedene Effekte zu erzielen. Auch bei der Aifen Station messe ich Durchgang zwischen Spitze und Schutzleiter. Einzig beim TS100 gibt es zunächst keine Erdung. Die kann man aber herstellen, indem man ein Erdungskabel an der dafür vorgesehen Erdungsschraube anbringt und es mit dem Schutzleiter verbindet. Etwas umständlich ist das allerdings schon.

Fazit

Es gibt nichts zu meckern. Ich finde alle drei Lötstationen gut – je nach Einsatzzweck.

Mein TS100 ist praktisch für unterwegs, wenn auch mit weniger Leistung als seine großen Geschwister. Die beiden großen Stationen funktionieren beide super und sind gut verarbeitet. Die Aifen Station bietet natürlich viel mehr digitalen Schnickschnack, aber wenn ich ehrlich bin ist ein simpler Poti das beste User-Interface, dass ich mir für eine Lötstation vorstellen kann. Dennoch hat mich die Aifen Station besonders positiv überrascht, weil sie nur ein Drittel der Weller kostet und noch mehr Wumms hat als diese. Damit ist sie meine neue Empfehlung für Leute, die eine Lötstation suchen und keinen Geldscheißer haben (evtl. auch in der noch preiswerteren A9e Variante oder sogar als A5 für ca. 50€).